Das Sylter Weißbrot. Legende. Knuspriger Traum aus dem tiefsten Norden.
Außen so dunkel wie die delialgegerbte Haut von Tante Almut, so knusprig und dick wie die Hand Cut Pommes die dir letztes Mal in den Sand gefallen ist. Innen so weich und umarmend wie ein um die Schultern geknoteter Camp David Pullover. Eine Form wie die Anatomie einer angespülten Kegelrobbe. Ein Mundgefühl wie ein zarter sabschiger Sauerteigkuss des Ozeans. Irgendwo von vorne hörst du das gierige Rrrra der Möwen, irgendwo von hinten hörst das brünftige GOIL von Jochen Gaues.
Ein Brot, so geil und einzigartig wie sein Schöpfer. Nur mit Mut zur dunklen, sehr sehr dunklen Kruste bekommt dieses einzigartige Aroma. Ich habe es gegessen und es hat mich nicht mehr losgelassen.
Das Rezept für Sylter Weißbrot zum Nachbacken
Für meine nun finale Variante habe ich seit mehreren Wochen recherchiert, gebacken und geflucht. Es war ne harte Überfahrt, 3 Wochen nur das Blech geschrubbt. Wenn du mich fragst wos am Schönsten war, sag ich: Sansibar. Aloaheja
So nah wie möglich am Originalgeschmack
Das “Original” gibt es mittlerweile bei vielen Bäckereien mehreren Abwandlungen, im Grund sind es aber alles Sauerteigbrote nach Sylter Art, wie sie Jochen Gaues erdacht hat. Ich habe mir im Vorfeld bei der Recherche zum Rezept mal die Mühe gemacht, möglichst alle Bäckereien, die dieses besondere Brot anbieten, zusammenzutragen.
Übersicht aller Bäckereien, die ein Sylter Brot anbieten
- Gaues Brot
- Backgeschwister
- Bäckerei Junge
- Bäckerei Plank
- Schanzenbäckerei
- CITTI
- Original 53
- Bäckerei Lundt Sylt
An dieser Stelle Herzlichen Dank an Alle, die ihre großartigen Ideen und Hinweise zum Rezept und massenweise Inspiration geliefert haben! Claudio Perrando Oliver Flodman & Angelika Bode. Im Gegensatz zu vielen bisherigen Rezepten für das Sylter Weißbrot bin ich nun geschmacklich und von der Vorgehensweise, Teigführung etc. so nah wie möglich am Original. Übrigens hat auch Brotdoc Björn Hollensteiner ein tolles Rezept dazu veröffentlicht!
Sogar Jochen Gaues selber konnte ich zur Vorgehensweise befragen: Das Original wird nicht kalt geführt, sondern arbeitet mit einer relativ kurzen Stockgare und Vorteigen (Mehrzahl). Aus allen im Netz auffindbaren Informationen, mehreren Einkäufen bei den Backgeschwistern und natürlich Gaues Brot, Videos, Testessen, Allergenlisten, wird klar, dass es Hefevorteig und ein Sauerteig mit Roggenvollkorn sein muss. Wie hoch der Sauerteiganteil ist, dazu gibt es widersprüchliche Angaben. Ich habe mit der Zutatenlisten-Angabe 25% Sauerteiganteil gearbeitet. Beim Biga bin ich noch höher als bei den ersten Backversuchen gegangen. Zum Einen bringt der Biga den Trieb, der für die relativ kurze Stockgare nötig ist, zum Anderen unterstützt diese Art Hefevorteig das Klebergerüst und bringt noch mehr notwendige nussige Aromen in die Krume.
Auch die Angabe von Zucker in der Zutatenliste erklärt sich an dieser Stelle mit einer guten Menge Aktivem Malz oder dem, was es im Teig anrichtet. Durch das aktive Malz im Sylter-Rezept wird nämlich zum Einen die Krume besonders wild, saftig-schmelzend und die Kruste bräunt intensiv und aromatisch. Großes Dankeschön an Martin Wenders, der mich hier mit Geduld auf die richtige Spur gebracht hat.
Kann man so ein Gaues-Brot überhaupt zu Hause backen?
Die Antwort ist: Ja! Jochen Gaues arbeitet ebenfalls handwerklich, mit natürlichen Zutaten, Sauerteig und langen Ruhezeiten bei Vorteigen. Das Sylter erfordert allerdings etwas Erfahrung und Geschick: Der Teig ist durch die hohe Wassermenge sehr weich und sollte stets nur mit viel Mehl bearbeitet werden. Das sieht man auch in den diversen Youtube-Videos zum Teighandling bei den Ciabattas / Sylter-Broten in der Backstube. Auch eine hohe Wasserdampfmenge, d.h. Schwaden, ist notwendig zum den Ofentriebzu unterstützen.
Bei der Größe des Brotes solltet ihr euch nicht erschrecken: Es ist ein enormer Klopper, genau wie das Original. Es passt aber gerade so auf ein handelsübliches Ofenblech. Vorher gebt ihr das Brot auf Backpapier/Dauerbackfolie; hier solltet ihr bereits darauf achten, dass es nicht zu sehr in die Breite läuft. Das passiert, wenn die Stockgare zu lang ist und das Brot dadurch seine Spannung schon verloren hat. Lieber die Stockgare und die Wassermenge im Teig etwas geringer halten, um sich heranzutasten.
Hinweise zum Nachbacken:
Was mir wichtig war: Ich habe das Rezept möglichst haushaltstauglich zum Nachbacken aufgebaut.
Du brauchst für das Brot nur 2 Mehlsorten (Weizenmehl 550 & Roggen-Vollkornmehl), einen einfachen Einstufen-Sauerteig, gemahlenes altes Brot und einen Hefevorteig.
Kneten, warten, backen. Mehr nicht.
Darüber hinaus sollte dein Ofen gut geeignet sein, um Wasserdampf zu erzeugen und zu halten (z.B. mit einer Edelstahlschale, die mit Lavasteinen gefüllt ist). Den Dampf benötigst du, um dem Brot einen perfekten Ofentrieb zu verpassen, ohne dass es reißt oder zu kompakt bleibt. Denn denk dran: Das Sylter wird nicht eingeschnitten, hat also keinen Schluss, aus dem die Triebkraft im Ofen entweichen kann. Im grunde ist es ein Ciabatta, also ein “Pantoffel”.
Die wichtigsten 5 Faktoren für ein gelungenes Sylter Weißbrot
Es gibt einige Stellschrauben, die dir zu Hause ein Ergebnis ermöglichen, das schmeckt und aussieht wie das bekannte Sylter bei Gaues:
- sehr warm geführter Sauerteig als Detmolder Einstufensauerteig (milde Aromen)
- eine sehr hohe Teigausbeute (TA) bis an die eigene Grenze (Frischhaltung, Krumenbild und Mundgefühl)
- aktives Malz (Kruste, Süße und wilde Krume)
- kein Formen: Der Teig wird auf der gut bemehlten Arbeitsfläche lediglich etwas zusammengeschoben und auf Backpapier gelegt
- gute Hitze und maximal Schwaden, am Besten wäre ein Backstahl, ich habe auf einem normalen Haushaltsblech gebacken
Wie schmeckt das selbstgebackene Sylter Sauerteigbrot denn nun?
Die dicke dunkle Kruste strahlt intensive Röstaromen in die malzig-warme Krume, die weich und wild, am Gaumen seidig-voluminös moussiert. Säurenoten stehen im Hintergrund und werden im Abgang vom nussigen Biga komplimentiert. So oder so ähnlich könnte man es beschreiben.
Black Beauty – Sylter Weißbrot nach Jochen Gaues
Gang: BrotKüche: DeutschSchwierigkeit: Mittel1
Portionen2
Stunden1
Stunde15
Minuten4
Stunden30
MinutenDas Original Sylter Weißbrot aus der Bäckerei Jochen Gaues zum Nachbacken zu Hause. Großer 2kg-Laib mit weichem Teig und tollem Aroma durch die sehr dunkle Kruste. TA 180
- Sauerteig
100g Roggenvollkorn-Mehl
50g Altbrot
6g Roggen-Anstellgut (aktiv)
250g handwarmes Wasser
- Biga
250g Weizenmehl 550
125g kaltes Wasser
5g Hefe frisch
- Hauptteig
835g Weizenmehl 550
580g Wasser, ca. 20 Grad
12g enzymaktives Backmalz, Pulverform
25g Salz
30g Bassinage – zusätzliches Wasser je nach Mehlqualität
- Sauerteig
- Das Altbrot sehr fein mahlen und in einer Pfanne trocken unter Rühren dunkel anrösten. In eine Schüssel geben und mit dem Wasser vermengen. Bei Bedarf kurz abkühlen und das Roggenmehl dazugeben. Wenn die Masse 37 Grad erreicht hat, das Anstellgut untermischen und für 12h bei warmer Raumtemperatur zur Gare stellen (bei mir: die ersten 6h auf dem Wlan-Router).
Das Volumen sollte sich verdoppeln. - Biga
- Wasser, Weizenmehl und Hefe zu einem festen Teig vermischen, abgedeckt für 8-10h bei Raumtemperatur (21 Grad) gehen lassen.
Alternativ bis zu 14h bei kühlen 16 Grad. - Hauptteig
- Sauerteig & Biga mit dem Wasser mischen, bis sich beides enigermaßen aufgelöst hat. Das Mehl zugeben, zu einem groben Teig vermischen und für 15-30 Minuten quellen lassen. Danach alle restlichen Zuaten zugeben und auf niedriger Stufe für 5 Minuten kneten. Dann auf höherer Stufe für nochmals 5-10 Minuten, je nach Knetmaschine, so weit wie möglich auskneten.
Der Teig ist sehr weich, löst sich aber größtenteils vom Schüsselrand, wenn er gut ausgeknetet ist. Es sollte sich aber ein sichtbares Klebergerüst bilden. Am Ende wenn möglich die 30g Bassinage-Wasser bei langsamem Kneten zugeben und nochmals gut auskneten.
Achtung, die Teigtemperatur sollte am Ende maximal 26 Grad betragen! - Stockgare
- Stockgare gesamt: ca. 2,5h
Den Teig in einer gut geölten Wanne bei Raumtemperatur (21 Grad) für 2,5- max. 3h reifen lassen. Dabei mehrmals kräftig Dehnen & Falten:
– nach 15 Minuten
– nach 30 Minuten
– nach 45 Minuten
– letzte Runde: nach 1,5h noch einmal Dehnen & Falten, der Teig ist nun schon gut aufgegangen
Der Teig sollte sich am Ende der Stockgare maximal verdoppeln, sonst wird er zu weich in der Handhabung. - Stückgare
- Stückgare gesamt: 15 Minuten
Cheat-Variante: Den Teig vorsichtig auf eine sehr (extrem!) gut bemehlte Unterlage wie Backpapier, geben. Ein weiteres, leeres Backpapier daneben legen. Dann den Teig sanft und würdevoll von Bogen 1 auf Bogen 2 stürzen, sodass die bemehlte Unterseite nun oben liegt. Er darf nirgends hängen bleiben!
Bäcker-Variante: Den Teig vorsichtig auf eine sehr (extrem!) gut bemehlte Arbeitsfläche geben. Jetzt auch die Oberseite gut bemehlen. Nun mit sehr gut bemehlten Händen und einer großen Teigkarte den Teig überall sicher unterfassen und sehr schnell auf ein vorbereitetes Backpapier geben.
Man kann die Seiten des weichen Teiges auch etwas übereinander zur Mitte schlagen (nicht wirklich intensiv formen!), dadurch spannt sich die Teighaut noch etwas mehr. Danach dann unterfassen und auf Backpapier umdrehen. - Bei beiden Varianten unbedeckt für ca. 15 Minuten entspannen lassen.
- Backen
- Gesamtbackzeit: ca. 60 Minuten
Ofen mit Blech, besser Backstahl, auf mindestens 240 Grad Ober-Unterhitze, besser 270 Grad, vorheizen.
Das Brot mit dem Papier auf das Blech ziehen und sofort maximal Schwaden sowie die Temperatur auf 230 Grad reduzieren. Nach 20 Minuten den Dampf gründlich ablassen und für weitere 40 Minuten bei 220 Grad extrem dunkel ausbacken. Bei Bedarf am Ende für einige Minuten Heissluft zuschalten. (Jochen Gaues glammt nach dem Backen mit einem Brenner ab) Ohne tiefdunkelbraune Kruste funktioniert dieses Brot nicht!
Rezept-Video
Notizen
- Das Rezept kann halbiert werden. Die Backzeit – und das Aroma – verringert sich dadurch aber.
- Die Wassermenge kann reduziert werden (Bassinage weglassen), dadurch verliert man aber Saftigkeit und Krumenstruktur. Besser ein gutes Weizenmehl wählen, das viel Wasser aufnehmen kann.
- Das Sylter Weißbrot braucht unbedingt eine sehr dunkle Kruste, die das Aroma in die Krume bringt. Das gelingt am Besten mit langer Backzeit und hohem Teiggewicht!
- Knetdauer & Teigtemperatur: Der weiche Teig muss gut ausgeknetet werden. Je nach Maschine kann dies lange dauern. Da mit zunehmender Knettdauer die Teigtemperatur steigt, am Besten zwischendurch nachmessen. Sobald die Temperatur bei 25-26 Grad liegt, aufhören zu Kneten und mit der Stockgare fortfahren. Kühleres Wasser bei langem Kneten zu verwenden, kann ebenfalls helfen.
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